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© Oberingenieurkreis I
Das Gebiet Grimsel ist Naturgefahren ausgesetzt, die durch den Klimawandel noch verschärft werden. Um eine nachhaltige regionale Entwicklung zu gewährleisten, wurde eine partizipative "Strategie zur Anpassung an den Klimawandel" entwickelt, deren Schwerpunkt auf dem Zugang zum Verkehr, der Lebensqualität, der Sicherheit und der Kommunikation liegt.
Siedlungen, Infrastruktur, Landnutzung und Straßenverbindungen im Gebiet Grimsel in der Südschweiz sind stark den Risiken hydrologischer und gravitativer Naturgefahren wie Gesteinssturz, Schlammabflüssen, Erdrutschen, Lawinen und Überschwemmungen ausgesetzt, die durch Sedimentation von Trümmern begünstigt werden. Permafrosttauen, Gletscherrückgang und häufigere Starkregenereignisse aufgrund des Klimawandels dürften die Hangstabilität weiter verringern und die Wahrscheinlichkeit von Massenbewegungen erhöhen. Das Gebiet Grimsel liegt im Kanton Bern an der Nordseite der Berner Alpen und umfasst die beiden Hochgebirgsgemeinden Guttannen und Innertkirchen.
Um künftige Herausforderungen zu bewältigen, die sich aus den kombinierten Auswirkungen klimabedingter Naturgefahren ergeben, die auf bereits bestehende sozioökonomische Schwachstellen treffen, haben regionale Akteure in einem strukturierten partizipativen Prozess (2014-2016) die „Strategie zur Anpassung an den Klimawandel für das Grimselgebiet“ im Rahmen eines schweizerischen Förderprogramms entwickelt. Der thematische Anwendungsbereich der Strategieformulierung weitete sich sukzessive aus und verlagerte sich von einem zunächst eher engen Fokus auf das Naturgefahrenmanagement hin zu breiter angelegten Perspektiven einer klimaresilienten Regionalentwicklung. Im endgültigen Strategiepapier werden sechs konkrete Maßnahmen festgelegt, von denen eine bereits 2016 in die Praxis umgesetzt wurde: Die Steuerung der Strategieumsetzung wurde durch die Einsetzung einer Lenkungsgruppe institutionalisiert, die für die Koordinierung und Überwachung zuständig ist. Bis Ende 2018 zeigt die Umsetzung weiterer Maßnahmen ein gemischtes Bild, wobei der Stand der Umsetzung von der Fertigstellung über die laufenden Maßnahmen bis hin zu Schwierigkeiten reicht.
Beschreibung der Fallstudie
Herausforderungen
Die „Strategie zur Anpassung an den Klimawandel im Grimsel-Gebiet“ geht auf Herausforderungen ein, die sich aus der Kombination von i) Auswirkungen des Klimawandels auf Naturgefahrenpotenziale und ii) bereits bestehenden sozioökonomischen und soziokulturellen Kontextschwachstellen ergeben.
Das Grimsel-Gebiet ist durch eine hohe Exposition gegenüber Gravitations- und hydrologischen Gefahrenprozessen wie Gesteinssturz, Schlammströmungen, sintflutartigen Prozessen, Erdrutschen, Lawinen und Überschwemmungen durch Aggradation gekennzeichnet. Infolge des Auftauens des Permafrosts und des Gletscherrückgangs sind verschiedene Teile der Region in den letzten Jahren jährlich und in zunehmendem Maße von großen Naturgefahrenereignissen betroffen, die Massenbewegungen mit sich bringen. Aufgrund des temperaturbedingten Anstiegs der Permafrostlinie, der Mobilisierung von Trümmern infolge der Gletscherablation, der zunehmenden Wahrscheinlichkeit schwerer Regenfälle und der steigenden Schneegrenze wird erwartet, dass auch im Sommer in Zukunft größere Massenbewegungsereignisse wahrscheinlicher werden.
Die jährliche Durchschnittstemperatur in der Schweiz ist zwischen 1864 und 2017 bereits um 2,0°C gestiegen, verglichen mit 0,9°C weltweit (CH2018,2018). Nach den jüngsten Klimaszenarien für die Schweiz 2018 (CH2018,2018) kann die jährliche Durchschnittstemperatur über die gesamte Schweiz bis zum Ende des 21.Jahrhunderts für das unverminderte Emissionsszenario RCP8.5 um bis zu 6,9 °C seit der vorindustriellen Ära (5,4 °C gegenüber dem Referenzzeitraum 1981-2010) steigen. Für das 2 °C-konforme Minderungsszenario RCP2.6 wird die Erwärmung wahrscheinlich im Bereich von 2,1 bis 3,4 °C über dem vorindustriellen Niveau (0,6 bis 1,9 °C im Vergleich zum Zeitraum 1981-2010) liegen. Eine noch stärkere Erwärmung wird in der Sommersaison erwartet. Langfristig wird der ungemilderte Klimawandel (RCP8.5) wahrscheinlich dazu führen, dass der mittlere Niederschlag über der Schweiz im Sommer abnimmt und im Winter zunimmt. Je nach Region liegt der prognostizierte mittlere Anstieg des Winterniederschlags um 2100 zwischen +12% und +22% und der mittlere Rückgang des Sommerniederschlags zwischen -10% und -24%. Es wird geschätzt, dass im RCP8.5-Szenario der Nullgrad im Winter um 700 bis 1050 Meter ansteigen wird (im Vergleich zu 1981-2010). Dies wird zu einem wahrscheinlichen Rückgang der Schneefallsummen um mehr als -50% und einem Rückgang der mittleren Winterschneedecke um -80% in niedrigen Lagen führen. Es gibt solide Beweise dafür, dass es häufigere und intensivere Starkregenereignisse geben wird, insbesondere im Winterhalbjahr, wobei die Intensität der Spitzenereignisse die größten Veränderungen zeigt: Für RCP8.5 werden die Niederschlagsmengen bei tagelangen Starkniederschlägen mit 100-jährigen Rücklaufintervallen bis 2100 voraussichtlich um 10 - 25% steigen. Die kombinierten Auswirkungen zunehmender Winterniederschläge, eines steigenden Niederschlagsanteils anstelle von Schnee und der Verschärfung extremer Niederschlagsereignisse werden schwerwiegende Auswirkungen auf das Hochwasserrisiko und andere Naturgefahrenprozesse haben.
Die schweizerische nationale Analyse klimabezogener Risiken und Chancen (Köllneret al., 2017)hat die zunehmende Häufigkeit und/oder räumliche Ausdehnung von Massenbewegungen aufgrund von Gletscherrückgang und Permafrostauftauen, auch in bisher nicht betroffenen Gebieten, als prioritäres Klimawandelrisiko für mehrere Schweizer Regionen, darunter die Schweizer Alpen, identifiziert. Ohne Anpassungsmaßnahmen dürften abnehmende Hangstabilität und häufigere Massenbewegungen das Risiko von Schäden an Menschenleben und Sachwerten (Gebäude, Infrastruktur, indirekte Schäden, Abnahme der Speicherkapazitäten von Wasserreservoirs) erheblich erhöhen.
Im Gebiet Grimsel war der hohe aktuelle Problemdruck durch Schlammströme und lokale Überschwemmungen in Teilen der Gemeindegebiete ein wichtiger Treiber für die Initiierung der Entwicklung der Klimaanpassungsstrategie. Bei ihrer Bewertung der künftigen Herausforderungen kamen die teilnehmenden Interessenträger zu dem Schluss, dass die Bedrohungen, die durch eine Reihe von hydrogravitativen Gefahren verursacht werden, unter den Bedingungen des fortschreitenden Klimawandels wahrscheinlich zunehmen werden, einschließlich einer Verlängerung der gefahrenanfälligen Zeiträume bis in die Sommersaison (Bender-Gàlet al., 2016). Die daraus resultierenden Risiken betreffen direkt die einzige Kantonsstraße, die die wichtigste öffentliche Verkehrsverbindung in und aus der Region ist, das Nebenstraßensystem, Gebäude und Siedlungen, die Versorgungsinfrastruktur (Trinkwasser, Stromleitungen, Telekommunikation) und Einrichtungen im Zusammenhang mit der Wasserkraftproduktion, die ein wichtiger wirtschaftlicher Vorteil der Region ist.
Die Auswirkungen des Klimawandels auf Naturgefahren stehen in engem Zusammenhang mit vielfältigen Fragen der regionalen Entwicklung in diesem ländlichen Randgebiet. Wachsende Risiken von Naturgefahrenprozessen überschneiden sich und interagieren mit anderen externen Belastungen und sozioökonomischen Trends in der Region, was sie oft verschlimmert. Zu diesen nicht klimatischen Faktoren gehören: demografischer Wandel (Abwanderung aus dem Land, Bevölkerungsalterung); Beschränkungen der Siedlungsentwicklung aufgrund natürlicher Bedingungen; begrenzte öffentliche Finanzkapazitäten für Strukturschutzmaßnahmen; Beeinträchtigung der Risikowahrnehmung der Bevölkerung (Beeinflussung der wahrgenommenen Lebensqualität); Abhängigkeit der Attraktivität für den Tourismus und des Beschäftigungsniveaus von der Kontinuität der Straßenverbindung. Klimabedingte Naturgefahren beeinflussen diese Faktoren der Regionalentwicklung, indem sie drei wesentliche Voraussetzungen für eine nachhaltige Regionalentwicklung beeinflussen und ihr notwendiges Gleichgewicht gefährden, nämlich: i) Verkehrsanbindung und Zuverlässigkeit der öffentlichen Infrastruktur, ii) Sicherheit und iii) Lebensqualität.
Politischer Kontext der Anpassungsmaßnahme
Case developed and implemented as a climate change adaptation measure.
Ziele der Anpassungsmaßnahme
Im Rahmen des Themenclusters „Bewältigung von Naturgefahren“ war die Entwicklung der „Strategie zur Anpassung an den Klimawandel für das Gebiet Grimsel“ eines von 31 Pilotprojekten, die im Rahmen der ersten Förderphase (2013-2017) des schweizerischen Pilotprogramms zur Anpassung an den Klimawandel gefördert wurden. Dieses Programm unterstützt die Umsetzung der nationalen Anpassungsstrategie der Schweiz (Bundesrat,2012) durch die finanzielle Unterstützung innovativer und beispielhafter Projekte zur Klimaanpassung in Kantonen, Regionen und Gemeinden.
Das Pilotprojekt im Raum Grimsel zielte darauf ab, die regionalen Akteure für die Folgen des Klimawandels zu sensibilisieren und die Zusammenarbeit zwischen relevanten Akteuren über Ebenen und Sektoren hinweg zu fördern. Konkrete Ziele waren die Identifizierung von Anpassungsoptionen, die Entwicklung einer subregionalen, langfristigen Anpassungsstrategie zur koordinierten Bewältigung von Naturgefahren und das Engagement der Akteure für deren Umsetzung.
Das Strategiepapier konzentriert sich auf vier strategische Richtungen für eine nachhaltige regionale Entwicklung unter den Bedingungen des Klimawandels: i) Zugang zum Verkehr, ii) Lebensqualität, iii) Sicherheit und iv) Kommunikation. Für diese wurden folgende Ziele festgelegt (Bender-Gàlet al., 2016):
- Verkehrsinfrastruktur: Eine angemessene Erreichbarkeit ist unter Berücksichtigung von Kosten-Nutzen-Aspekten gewährleistet, während für verschiedene Straßenabschnitte unterschiedliche Qualitäten der Verkehrsanbindung möglich sind.
- Lebensqualität: Eine optimale Nutzung der Potenziale der Region bleibt trotz des Klimawandels möglich. Die Tendenz zur Auswanderung wird sich trotz der Auswirkungen des Klimawandels nicht verstärken, und ihre Folgen für die Lebensqualität werden abgemildert.
- Sicherheit: Das Leben in den Gemeinden bleibt sicher, und die Bewohner haben ein gutes Gefühl der Sicherheit. Risiken für Menschen und Immobilienwerte werden minimiert.
- Mitteilung: Die Kommunikation innerhalb und über die Region ist leicht verständlich, zielgerichtet, den Bedürfnissen jeder Entscheidungsebene angemessen, regelmäßig, zur richtigen Zeit und über klar vereinbarte Kommunikationskanäle.
Darüber hinaus werden in der Strategie fünf Interessensbereiche identifiziert und qualitative Ziele definiert, die auf eine klimaresiliente und nachhaltige regionale Entwicklung abzielen.
In diesem Fall implementierte Anpassungsoptionen
Lösungen
In der „Strategie zur Anpassung an den Klimawandel für das Gebiet Grimsel“ (Bender-Gàlet al., 2016) wird anerkannt,dass wachsende Risiken aufgrund des Klimawandels und anderer laufender sozialer Entwicklungen eng miteinander verknüpft sind. Damit werden Klimaanpassung und nachhaltige Regionalentwicklung gekoppelt angegangen (Steinemannet al., 2017). Dementsprechend stehen die Handlungsfelder der Strategie teilweise in direktem Zusammenhang mit klimabedingten Naturgefahrenprozessen und zielen teilweise auch auf nichtklimatische Einflüsse auf die regionale Entwicklung im weiteren Sinne ab. Die Strategie zielt somit darauf ab, eine klimaresiliente Regionalentwicklung im Kontext des Naturgefahren- und Risikomanagements zu sichern.
Auf der Grundlage von Bewertungen des Status quo, erwarteten Veränderungen, daraus resultierenden künftigen Herausforderungen und potenziellen Chancen werden im Strategiepapier (Bender-Gàlet al., 2016)strategische Ausrichtungen und die folgenden fünf Interessenbereiche festgelegt: a) Gebäude, Siedlungen und Einrichtungen; b) kantonale Straße und Infrastruktur; c) Tourismus; d) Beschäftigung und wirtschaftliche Entwicklung; und e) Dorfleben, soziokulturelle Aspekte und Landschaft. Für jeden der Interessenbereiche werden mögliche Handlungsfelder identifiziert, bewertet und priorisiert, was zu einem Portfolio von sechs konkreten Maßnahmen führt. Diese werden operativ definiert, einschließlich Zuständigkeiten, Arbeitsschritte, Fortschrittsindikatoren usw. Die Maßnahmen sind von unterschiedlicher Art und Adresse: institutionelle Rahmenbedingungen, Verbesserung der Wissensbasis, Siedlungsentwicklung, Kommunikation, Marketing und Beiträge zu einer technischen Lösung. Folgende Maßnahmen wurden definiert:
- Einsetzung eines Lenkungsausschusses für die „Strategie zur Anpassung an den Klimawandel für das Gebiet Grimsel“: Bildung einer Lenkungsgruppe und Festlegung ihrer Aufgaben und Aufgabenbereiche, um die Umsetzung, Überwachung und Weiterentwicklung der Maßnahmen zu gewährleisten.
- Umwandlung nicht genutzter Immobilien für Wohnzwecke (Gemeinde Guttannen, Weiler Boden): Schaffung neuer Wohnräume, Anziehung neuer Bewohner und Förderung einer nach innen gerichteten Siedlungsentwicklung, um das soziale und kulturelle Dorfleben zu sichern und die Attraktivität des Gebiets als Lebensraum trotz der Widrigkeiten des Klimawandels zu erhalten. Die Maßnahme reagiert auf wahrgenommene Verluste an Sicherheit und Lebensqualität aufgrund klimabedingter Naturgefahren und zielt darauf ab, der Abwanderung entgegenzuwirken, die durch eine veränderte Risikowahrnehmung der Bevölkerung angeheizt wird.
- Verbesserung des Austauschs von Daten und Informationen über Naturgefahren: Einrichtung einer Infrastruktur und von Verfahren für den Austausch und die Verarbeitung von Daten und Informationen über Naturgefahren aus verschiedenen Quellen und für deren Bereitstellung an Sachverständige und die Öffentlichkeit. Dadurch sollen regionale Akteure bei der Bewältigung von Risiken unterstützt werden.
- Vorbereitung auf eine mögliche neue Bahnanbindung: Mit der Maßnahme soll ein Beitrag zur jüngsten politischen Diskussion über die Pläne für den Bau einer neuen Schmalspurbahn, gebündelt mit einer Hochspannungsleitung, in einem 20 km langen Tunnelsystem, das Nord-Süd unter dem Grimselpass verläuft, geleistet werden. Das Projekt bietet eine „klimasichere“ Alternative zur gefahrgefährdeten Kantonsstraße. Mögliche Auswirkungen des Projekts auf die Region und ihre Exposition gegenüber Naturgefahren sind zu bewerten und in die Entscheidungsfindung einfließen zu lassen.
- Verbesserung der Krisenkommunikation für den Tourismus: Ausarbeitung und Umsetzung eines maßgeschneiderten Kommunikationskonzepts zur zeitnaheren, genaueren und effektiveren Übermittlung von Informationen über das Auftreten von Gefahrenereignissen an touristische Nutzergruppen.
- Vermarktung der natürlichen Umwelt und dynamischer Prozesse: Entwicklung von Tourismusprodukten, die Landschaft und natürliche Umwelt als regionales Gut vermarkten. Dies soll auch dazu beitragen, die Gäste für Naturgefahrenprozesse zu sensibilisieren und ein besseres Verständnis für Notfallmaßnahmen wie Straßensperrungen zu schaffen.
Durch die Durchführungsmaßnahme 1) wurde die Strategie bereits 2016 durch die Einrichtung der Lenkungsgruppe strukturell in der Region verankert. Die Lenkungsgruppe ist Teil einer neu geschaffenen Governance-Regelung zur Umsetzung der Strategie, die auf bestehenden institutionellen Strukturen in der Region aufbaut und zentrale Koordination mit dezentralen Zuständigkeiten verbindet. Sie setzt sich aus wichtigen Institutionen zusammen, die sich an der Strategieentwicklung beteiligt haben und unter dem Vorsitz der Regionalkonferenz Oberland-Ost stehen, einer Institution, die für die Koordinierung der Regionalpolitik zuständig ist und an der Schnittstelle zwischen kommunalen, kantonalen und föderalen Behörden agiert. Die an der Strategieentwicklung beteiligten Akteure haben sich durch Unterzeichnung einer Absichtserklärung zur Umsetzung der Strategie verpflichtet.
Bis Ende 2018 zeigt die Umsetzung weiterer Maßnahmen ein gemischtes Bild, wobei der Stand der Umsetzung von der Fertigstellung über die laufenden Maßnahmen bis hin zu Schwierigkeiten reicht: Die touristische Aufwertung von Naturgefahrenprozessen (Maßnahme 6) läuft erfolgreich und bringt Universitätskurse, wissenschaftliche Exkursionen und Studienbesuche von Besuchern aus anderen Kontinenten in die Region. Die Verbesserung des Datenaustauschs über Naturgefahren (Maßnahme 3) unter den wichtigsten Infrastrukturbetreibern der Region schreitet sehr gut voran und hat zu erheblichen Ergebnissen geführt, z. B. in Bezug auf die Beseitigung redundanter Überwachungsstrukturen, die gemeinsame Nutzung von Datenbanken, die von einzelnen Betreibern betrieben werden, und die gemeinsame Beschaffung neuer Überwachungssysteme. Die Argumente im Zusammenhang mit den Plänen für eine neue Eisenbahnverbindung (Maßnahme 4) wurden vorbereitet und den verantwortlichen Entscheidungsträgern mitgeteilt, aber aufgrund politischer Entscheidungen auf Bundesebene wurde das Bauprojekt auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Die Umsetzung der Maßnahmen 2) und 5) verzögert sich derzeit oder wird ausgesetzt, weil sich entscheidende Rahmenbedingungen geändert haben (neue Gemeindeverwaltung, persönlicher Wechsel beim maßnahmenverantwortlichen Akteur).
Zusätzliche Details
Beteiligung der Stakeholder
Die „Strategie zur Anpassung an den Klimawandel für das Gebiet Grimsel“ wurde in einem partizipativen Prozess von 2014 bis 2016 entwickelt. Als wesentlicher Erfolgsfaktor des Projekts wurde die Einbindung aller relevanten Stakeholder und die breite Vertretung wichtiger institutioneller Akteure in der Arbeitsgruppe identifiziert (Steinemannet al., 2016). Vor allem gelang es dem Partizipationsprozess, sektorale Akteure unterschiedlicher Ebenen zusammenzubringen, die bis dahin getrennte Risikomanagementstrategien eher fragmentiert verfolgten. Die Prozessorganisation bestand aus dem Projektmanagement, der Arbeitsgruppe, einem beauftragten externen Sachverständigen und dem Bundesamt für Umwelt (BAFU) als Koordinator des Förderprogramms. Das Prozessmanagement-Team wurde von der Regionalkonferenz Oberland-Ost geleitet, die auch als Projektdurchführungsstelle fungierte, und umfasste Vertreter des Ingenieurbüros der Kantonsverwaltung (Oberingenieurkreis I) und einer Gemeinde. Weitere in der Arbeitsgruppe vertretene Partner waren alle Kommunen, die zuständigen Kantonsämter sowie öffentliche und private Akteure aus den regionalen Schlüsselsektoren Energiewirtschaft, Verkehrsinfrastruktur, Tourismus und Landwirtschaft. Ein externer Berater war für die Prozesssteuerung, die Moderation von Meetings und die fachliche Beratung zuständig. Weitere Beratung und Expertise lieferte ein Klimaanpassungsbeauftragter der Fördereinrichtung BAFU.
Die Strategie wurde in einem Workshop-basierten Prozess entwickelt, der in fünf Phasen strukturiert war. Angefangen mit einer Auftaktveranstaltung im Mai 2014 bis hin zu einer Abschlussveranstaltung im Januar 2016 wurden insgesamt sechs Workshops durchgeführt. Sie dienten dazu, die Bedürfnisse und Problemwahrnehmungen der Akteure, systemische Interdependenzen, Bedürfnisse und Handlungsoptionen, mögliche Konflikte, Strategiegestaltung, Prioritäten und strategische Richtungen, gemeinsame Ziele und konkrete Maßnahmen zu ermitteln und zu erörtern. Die Workshops wurden anhand von Inputpapieren vorbereitet und nachbearbeitet, die nach und nach zum endgültigen Strategiedokument weiterentwickelt wurden.
Bilaterale Sondierungsgespräche, insbesondere vor dem ersten Workshop, erwiesen sich als sehr nützlich, um die tatsächliche Problemsituation zu klären und die Diskussion während der Workshops zu strukturieren. Bis zu einem gewissen Grad ergänzten diese Vorträge die Workshops, falls die begrenzten Zeitressourcen es nicht allen Teilnehmern ermöglichten, alle ihre Bedenken vollständig zum Ausdruck zu bringen. Das Format „Weltcafé“ erwies sich als besonders geeignete Methode, um die Diskussion in kleinen Gruppen innerhalb der Workshops zu erleichtern. Die aktive Beteiligung am Prozess und die positive Identifikation mit seinem Ergebnis wurden gefördert, indem die Teilnehmer aufgefordert wurden, Beiträge zu leisten, z. B. zur Zukunftsvision ihrer Interessengruppe, und indem ihnen die Verantwortung für die Entwicklung von Maßnahmen übertragen wurde.
Der Prozess der Stakeholder-Beteiligung war entscheidend, um ein angemessenes Gleichgewicht der Maßnahmen im Spannungsfeld der strategischen Ziele zu erreichen. Dabei galt es, ein akzeptables Risikoniveau mit einem angemessenen Maß an Sicherheit, Zugänglichkeit und Lebensqualität in Einklang zu bringen. In ihren Erkenntnissen (Steinemannet al., 2016)kommen die Prozessmanager zu dem Schluss, dass wissenschaftliche Fakten allein nicht ausreichen, um entsprechende Urteile zu fällen, sondern dass es notwendig ist, gemeinsame Positionen zu entwickeln, indem verschiedene Ansichten und Problemwahrnehmungen in einem kollektiven Beratungsprozess getauscht werden.
Erfolgsfaktoren und limitierende Faktoren
Die „Strategie zur Anpassung an den Klimawandel für die Region Grimsel“ wird von den Koordinatoren des Schweizer Pilotprogramms zur Anpassung an den Klimawandel (BAFU,2017)als Erfolg und als „bewährte Praxis“ angesehen. Es gehört zu den wenigen Pilotprojekten, die über die Verbesserung der Wissensbasis oder die Entwicklung von Unterstützungsinstrumenten hinausgingen und konkrete Anpassungsoptionen identifizierten, sie in einer regional verankerten Strategie formulierten und ihre Umsetzung in der Praxis vorbereiteten. Die folgenden Haupterfolgsfaktoren im Zusammenhang mit verschiedenen Dimensionen können identifiziert werden (Steinemannet al., 2016):
Erfolgsfaktoren im Zusammenhang mit externen Rahmenbedingungen:
- Vorangegangene Gefahrenereignisse der letzten Jahre hatten zu Projektbeginn zu einem Problemdruck geführt, der das Bewusstsein für Handlungsbedarf schärfte und die Bereitschaft erhöhte, einen regionalen Anpassungsprozess einzuleiten.
- Eine Neubewertung des lokalen Hochwasserrisikos während des Strategieentwicklungsprozesses implizierte, dass das Risiko weniger schwerwiegend war als ursprünglich angenommen, was die Problemwahrnehmung der beteiligten Akteure erleichterte. Obwohl eine solche Dynamik als ambivalent angesehen werden kann, ermöglichten die Veränderungen in der lokalen Risikowahrnehmung eine Verschiebung des Anwendungsbereichs des Strategieprozesses von einem eher engen Fokus auf (strukturelle) Risikomanagementmaßnahmen hin zu viel breiteren regionalen Entwicklungsperspektiven.
- Die gute Verfügbarkeit regionaler Daten über Naturgefahrenprozesse zur Zeit und in Zukunft war eine günstige Voraussetzung.
- Die Initiierung der Strategieentwicklung und die Auswahl der thematischen Schwerpunkte wurden von den Akteuren in der Region und ihren regionalen Bedürfnissen von unten nach oben vorangetrieben.
- Die Bundesförderung durch das Pilotprogramm war unterstützend. Es signalisierte den politischen Willen und die Relevanz der Klimaanpassung auf höherer Regierungsebene.
- Die schweizerische Tradition, dass Einwohnerinnen und Einwohner eine starke staatsbürgerliche Rolle spielen und gleichzeitig an das Handeln in verschiedenen gesellschaftlichen Rollen gewöhnt sind, erwies sich als fruchtbares Substrat für die partizipative Politikentwicklung.
Erfolgsfaktoren im Zusammenhang mit dem Strategieentwicklungsprozess:
- Breite Beteiligung der einschlägigen regionalen Akteure aus verschiedenen Ebenen und regional wichtigen Wirtschaftszweigen, einschließlich wichtiger Akteure mit gutem Ruf und hoher Glaubwürdigkeit in der Region. Dies sicherte auch eine breite Akzeptanz der Strategie.
- Starkes Engagement der Prozessmanager und hohe Motivation der beteiligten Akteure. Die Eigenverantwortung der Akteure wurde gefördert, indem ihnen die Verantwortung für die Entwicklung von Maßnahmen übertragen wurde.
- Die Einbindung externer Berater sicherte ein professionelles Projektmanagement, eine attraktive Moderation von Workshops sowie eine effiziente Vorbereitung und Nachbearbeitung von Meetings.
- Die thematische Flexibilität des Prozesses erlaubte es, auf Veränderungen externer Rahmenbedingungen zu reagieren und eröffnete kreative Spielräume.
- Die beteiligten Akteure haben sich durch die Unterzeichnung einer Absichtserklärung zur Umsetzung der Strategie verpflichtet.
Erfolgsfaktoren im Zusammenhang mit den Inhalten der Strategie:
- Es war ein entscheidender Erfolgsfaktor, dass klimabedingte Naturgefahren in einem breiteren regionalen Entwicklungskontext behandelt wurden, wobei ihre Wechselwirkungen mit gesellschaftlichen Entwicklungen und sozioökonomischen regionalen Herausforderungen in vollem Umfang berücksichtigt wurden.
- Es wurde unterstützt, dass auch die Chancen, die sich aus dem Klimawandel und der gesellschaftlichen Anpassung ergeben, angegangen wurden. Eine der Maßnahmen zielt beispielsweise darauf ab, dynamische Landschaftsprozesse, die durch sich ändernde klimatische Bedingungen geprägt sind, zu nutzen, indem sie als Vorteil für den Tourismus vermarktet werden.
- Der Strategieprozess wurde institutionalisiert, indem eine neue Governance-Struktur (Lenkungsgruppe mit Mandat) für seine Umsetzung geschaffen wurde.
Bis zu einem gewissen Grad war es ein limitierender Faktor, dass die gruppenbasierte Arbeit mit Klimawandelszenarien während des Workshop-Prozesses nicht erfolgreich war. Die ursprüngliche Idee war, Problembewertungen und Anpassungsoptionen nach verschiedenen Szenarien des Klimawandels (schwach, mittel, stark) zu differenzieren, um Unsicherheiten zu berücksichtigen. Es stellte sich jedoch heraus, dass dieser Ansatz zu komplex war. Stattdessen entwickelten die Akteure gemeinsame Einschätzungen der allgemeinen Richtung zukünftiger Entwicklungen unter fortschreitendem Klimawandel (aktuelle Situation verbessert, verschlechtert oder konstant bleibt), die nicht an einen bestimmten Zeithorizont gebunden waren.
Während die Umsetzung einiger Maßnahmen erreicht wurde oder gute Fortschritte zeigt, wirken sich Änderungen der Rahmenbedingungen derzeit negativ auf andere Maßnahmen aus oder begrenzen deren Auswirkungen. Trotz vorbereitender Schritte für den Umbau ungenutzter Gebäude (Maßnahme 2) hat ein politischer Wandel der Kommunalverwaltung den Prozess derzeit auf Eis gelegt. Ein Personalwechsel bei dem für Maßnahme 5 zuständigen Akteur) hat die Umsetzung bisher verzögert. Die Argumente im Zusammenhang mit der neuen Grimsel-Eisenbahnstrecke (Maßnahme 4) sind abgeschlossen und sprechen sich für das Projekt aus, aber die Bundesregierung hat in der Zwischenzeit ihre Priorität herabgestuft.
Kosten und Nutzen
Die Entwicklung der „Strategie zur Anpassung an den Klimawandel im Raum Grimsel“ war eines der Projekte, die im Rahmen des schweizerischen Pilotprogramms zur Anpassung an den Klimawandel gefördert wurden. In der ersten Förderphase wurden im Rahmen des Pilotprogramms 31 Projekte mit einem Gesamtfördervolumen von 7,7 Millionen Schweizer Franken gefördert. Ohne flankierende Maßnahmen beläuft sich dies auf ein durchschnittliches Budget von rund 200.000 Schweizer Franken pro Projekt.
Für jede in der Strategie definierte Maßnahme werden der Nutzen und die beabsichtigten Ergebnisse beschrieben und der Finanzierungsbedarf qualitativ charakterisiert, aber weder Nutzen noch Kosten wurden quantifiziert. Die Einrichtung und der Betrieb der Lenkungsgruppe verursachten keine zusätzlichen Kosten, da Verwaltung und Arbeitszeit durch die regulären Haushaltsmittel der Mitgliedsorganisationen getragen werden. Zum Zeitpunkt der Erstellung des Strategiepapiers war es nicht möglich, die Kosten anderer Maßnahmen abzuschätzen, da in den meisten Fällen der Finanzierungsbedarf für die vollständige Umsetzung der Maßnahmen von den Ergebnissen der ersten Umsetzungsschritte abhängt (z. B. Klärung des genauen Bedarfs verschiedener Nutzergruppen in Bezug auf die geplante Datendrehscheibe für Naturgefahren). Dementsprechend ist die Kostenschätzung manchmal Teil des schrittweisen Umsetzungsplans für Maßnahmen.
Qualitative Kosten-Nutzen-Erwägungen spielten bei der Entwicklung der Strategie eine wichtige Rolle und bilden die Grundlage mehrerer Maßnahmen. So wird beispielsweise der Schutz der Straßeninfrastruktur vor Naturgefahren und die Verbesserung der Qualität des Verkehrszugangs durch die begrenzte Verfügbarkeit öffentlicher Finanzmittel eingeschränkt. Der derzeitige Schwerpunkt des öffentlichen Straßenmanagements auf der Überwachung von Gefahrenherden und der Vorbereitung von Sanierungsmaßnahmen im Schadensfall muss daher beibehalten werden, da die Finanzierung größerer struktureller Schutzmaßnahmen nicht möglich ist. Ähnliche Kosten-Nutzen-Beziehungen im Spannungsfeld zwischen Risikoprävention (angemessene Schutzniveaus) und Risikotoleranz (akzeptable Risikoniveaus) tragen zu vielen der Herausforderungen bei, auf die die Strategie reagiert.
Rechtliche Aspekte
Die Inhalte des Strategiepapiers und die darin definierten Anpassungsmaßnahmen knüpfen nahtlos an den jeweiligen kommunalen, kantonalen und bundesstaatlichen Gesetzesbestand an.
Implementierungszeit
Mit der Umsetzung des Maßnahmenpakets wurde 2016 begonnen, d. h. unmittelbar nach der Fertigstellung des Strategiedokuments und dem Ende des Pilotprojekts zur Seed-Finanzierung. Die Lenkungsgruppe für die Umsetzung der Strategie als institutionelle Maßnahme wurde bereits im Laufe des Jahres 2016 eingerichtet. Einige Maßnahmen sind naturgemäß eher unbefristet, während der Abschluss mehrerer anderer Maßnahmen ursprünglich bis Ende 2018 geplant war. Da sich einige dieser Maßnahmen verzögern oder vor Herausforderungen stehen, könnten sie von der Lenkungsgruppe neu geplant oder überarbeitet werden.
Lebensdauer
Die in der Strategie definierten Maßnahmen sind überwiegend nicht-strukturell, sondern eher prozessorientiert und zielen darauf ab, Bedingungen und dauerhafte Prozesse für eine klimaresiliente, nachhaltige Regionalentwicklung zu gestalten. Daher unterliegt ihre „Lebensdauer“ keinem gesonderten Zeitraum.
Referenzinformationen
Kontakt
Regionalkonferenz Oberland-Ost
Jungfraustrasse 38, Postfach 312, 3800 Interlaken
Email: region@oberland-ost.ch
Homepage: https://www.oberland-ost.ch
Oberingenieurkreis I, Tiefbauamt des Kantons Bern
Schlossberg 20, 3602 Thun
Homepage: www.bve.be.ch/tba
Websites
Referenzen
Pilotprojekt „Strategie zur Anpassung an den Klimawandel im Raum Grimsel“, gefördert durch das Schweizer Pilotprogramm zur Anpassung an den Klimawandel (1. Förderphase: 2013-2017)
Veröffentlicht in Climate-ADAPT: Nov 22, 2022
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